Gegenstand der Betrachtung: Micha 6,1-8.
Mi. 6,1 Wieder (vgl. 1,2) berief der HERR Zeugen, die hören sollten, was er gegen sein Volk vorzubringen hatte (»Gerichtsverfahren, Prozess«; in 6,2 a und 6,2 b mit »rechten« übersetzt) . Dann forderte er Israel auf, nun selbst seine Sache vor den Bergen zu führen und seinen Standpunkt in diesem Rechtsstreit mit Gott zu vertreten, Er rief unbeteiligte Zeugen zur Bestätigung an, dass er gegenüber seinem Volk gerecht gewesen war und dass Israel in seinem Denken und Handeln vor Gott gesündigt hatte. Die Zeugen, an die er sich wandte, waren die Menschen an allen Orten, repräsentiert durch die »Berge« (vgl. V. 2) und die Hügel.
Mi. 6,2 Dann begann der HERR seinerseits, seine Sache gegen sein Volk vorzutragen. Er wiederholte seinen Aufruf an die Berge (vgl. V. 1) zu hören, wie er mit seinem Volk Israel rechten und ins Gericht gehen würde.
Mi. 6,3-4 In der weiteren Darlegung des Falles sprach der HERR Israel als mein Volk an (vgl. V. 5). Durch eine Frage (Was habe ich dir getan?) beteuerte er seine Unschuld. Er forderte die Menschen auf, ihm zu sagen, womit er sie beschwert habe. Obwohl die Israeliten sich häufig über Gott beklagten, hatten sie doch nie einen wirklichen Grund dafür. So konnten sie auf Gottes Anschuldigung nichts entgegnen.
Gott erinnerte das Volk an seine Güte, aufgrund derer er es aus Ägyptenland in das verheißene Land geführt hatte. Das Wort erlöst (padäh, »freikaufen, erlösen«; vgl. 5.Mo. 7,8; 9,26; 13,6; 15,15; 24,18) sollte die lsraeliten an das Schlachten des Passahlammes erinnern, durch das die ältesten Söhne der israelitischen Familien verschont blieben (2.Mo. 12,3-7; 12-13). Moses Name steht hier als eine Erinnerung an das Gesetz, während der Name Aaron den Menschen den Gedanken der Priesterschaft vor Augen führen sollte. Mirjam wird vielleicht erwähnt, weil ihr Name die Erinnerung an ihr Lied für den HERRN (2.Mo. 15,21) und ihre Rolle als Prophetin (2. Mo. 15,20) wachrief. Da Mose Gott vor den Menschen und Aaron die Menschen vor Gott vertrat, hatte Israel damals eine einzigartige Beziehung zu Gott.
6,5 Als nächstes erinnerte Micha Gottes Volk (vgl. »mein Volk« in V. 3) an die Erfahrung seiner Vorfahren in der Wüste, als Balak, der König von Moab, versuchte, Bileam zu Prophezeiungen gegen das Bundesvolk zu bewegen (4. Mo. 22-24). Statt die Menschen zu verfluchen, segnete Bileam sie jedoch. Das war ein weiterer Beweis für Gottes Güte ihnen gegenüber. Ein anderes großes Ereignis im Leben des Volkes war der Zug von Schittim, dem letzten Lager der Israeliten östlich des Jordan (vgl. Jos. 3,1), nach Gilgal, dem ersten Lager nach dem wunderbaren Überschreiten des Flusses (vgl. Jos. 4,18-19). Bei all diesen Ereignissen hatte Gott sein Volk nicht »beschwert«, sondern es beschützt und verteidigt und ihm nur Gutes getan.
Mi. 6,6-8 Die Antwort Michas für das Volk
Diese wohlbekannten Verse enthalten die Antwort des Propheten auf die Anklage des HERRN. Micha sprach als Gerechter, der sich der Schuld seines Volkes bewusst war. Er unterschied sich von der Mehrheit der Führer, die sich keinerlei. Mühe gaben, das Volk richtig zu leiten.
Mi. 6,6 In seiner Funktion als Sprecher des Volkes fragte Micha, womit er sich dem HERRN im Gottesdienst nahen sollte, um seine Gnade wiederzugewinnen. Er fragte, ob er mit Brandopfern oder mit einjährigen Kälbern vor den HERRN treten sollte. Das war nicht etwa eine abwertende Anspielung des Propheten auf die jüdische Opferordnung. Die levitische Ordnung war nach dem Willen Gottes unter anderem auch auf die Sühne für die Sünden der Menschen ausgerichtet, und als rechtschaffenes Mitglied der Bundesgemeinschaft befolgte Micha zweifellos selbst die Opferbräuche. Er wusste aber auch, dass die Opfer als äußerer Ausdruck eines festen, inneren Vertrauens auf die Güte und Gnade Gottes gedacht waren.
Mi. 6,7 Indem er sich des Stilmittels der übertreibenden Steigerung bediente, fragte der Prophet nun, ob der HERR an viel tausend Widdern, unzähligen Strömen von Öl oder an seinem eigenen Erstgeborenen (seines Leibes Frucht) als Sühne für seine Übertretung und Sünde Gefallen habe (vgl. Mi. 1,5; 2,8; 7,18). Er wusste natürlich, dass diese Gaben Gottes Zorn auf das Volk nicht würden besänftigen können. Er redete auch nicht der üblen, vom Gesetz verbotenen Praxis der Kindesopferung das Wort (vgl. 3.Mo. 18,21; 20,2-5; 5.Mo. 12,31; 18,10).
Micha stellte diese rhetorischen Fragen vielmehr, um Israel klarzumachen, dass nichts nicht einmal die extremsten Opfer wiedergutmachen konnte, was es Gott angetan hatte. Gleichzeitig unterstrich er damit, dass Gott nicht »bezahlt« werden wollte, sondern verlangte, dass die Menschen ihre Einstellung und ihr Tun änderten.
Mi. 6,8 Dann sagte Micha dem Volk (Mensch bezeichnet alle Israeliten) genau, was Gott von ihm forderte. Gott wollte nicht, dass sich die Beziehung der Menschen zu ihm in Ritualen erschöpfte. Vielmehr wollte er eine Beziehung, die aus ihrem Innern kam – sie sollten ihm gehorchen, weil es ihr eigener Wunsch war, nicht, weil es von ihnen verlangt wurde.
Diese gute Beziehung beinhaltete drei Dinge: jeder einzelne sollte
(a) Gottes Wort halten, also ehrlich und gerecht im Umgang mit anderen sein;
(b) Liebe üben, d.h. die Verpflichtung, anderen zu helfen, erfüllen;
(c) demütig sein vor seinem Gott, also bescheiden und ohne Hochmut Gott folgen.
Der HERR hatte den Israeliten diese Forderungen schon früher mitgeteilt (5.Mo. 10,12; 18). Gottes Wort zu halten, »ist ein Weg, Liebe zu üben, und dies wiederum ist eine Manifestation des Demütigseins vor Gott«
Viele Zeitgenossen Michas hielten Gottes Wort nicht (Mi. 2,1-2; 3,1-3; 6,11), zeigten denjenigen, für die sie die Verantwortung trugen, keine treue Liebe (Mi. 2,8-9; 3,10-11; 6,12) und waren auch nicht demütig vor Gott.
Quellenverzeichnis:
- Zusammengestellt von H. Mayer nach einem Kommentar von John A. Martin „Das Alte Testament – erklärt und ausgelegt – Band 3 – Hänssler Verlag